Psychiatrische Diagnosen- Was Ihr Arzt Nicht Erzählt
Psychiatrische Diagnosen: Oftmals zu ungenau
Psychiatrische Diagnosen sollten neu überdacht werden
Bisher wurden bei psychiatrischen Erkrankungen die Symptome identifiziert und auf dieser Basis die Diagnose
erstellt. Patienten mit gleicher Diagnose erhielten daraufhin automatisch die gleiche Behandlung. Doch ein
internationales Forscherteam, unter Federführung vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie (Studienleiterin Elisabeth
Binder, Erstautorin DivyaMetha), legte nun Studienergebnisse vor, dass psychiatrische Erkrankungen deutlich
komplexer und individueller sind, als bisher angenommen.
Auf den Spuren frühkindlicher Traumata
Wie es scheint, gibt es unterschiedliche Umweltrisikofaktoren, die einen erheblichen Einfluss auf die
Häufigkeit, Dauer und Schwere psychiatrischer Erkrankungen des Einzelnen haben und für eine erfolgreiche Behandlung
von Depressionen und Angststörungen unbedingt berücksichtigt werden sollten. Besonders traumatische Erfahrungen in
der Kindheit bewirken oft eine lebenslange Fehlregulierung des Stresshormonsystems. Wissenschaftler und Ärzte
erhoffen sich hier für die Zukunft speziell auf den jeweiligen Patienten zugeschnittene und dadurch wirkungsvollere
Behandlungsmöglichkeiten.
Gen-Aktivitäten durch Umwelteinflüsse veränderbar
Es gelang den Wissenschaftlern, in einer genomweiten Studie den Einfluss traumatischer Erlebnisse auf die
Biologie psychiatrischer Erkrankungen nachzuweisen. Die Forscher untersuchten und verglichen zu diesem Zweck die
peripheren Blutzellen von 169 weiblichen und männlichen Probanden mit einem Durchschnittsalter von 45 Jahre. Alle
Patienten stammten aus Atlanta in den USA und waren durch Misshandlungen und Missbrauch in ihrer Kindheit stark
traumatisiert. Die erste Gruppe war trotz aller frühkindlichen Erfahrungen nicht an posttraumatischen
Belastungsstörungen (PTBS) erkrankt. Die beiden anderen Gruppen litten am PTBS-Syndrom, wovon eine Gruppe über ihre
traumatischen Kindheitserlebnisse berichtete, während die andere nicht darüber sprach.
Die Forscher machten sich nun auf die Suche, ob die frühen traumatischen Erlebnisse Spuren im Erbgut der
Probanden hinterlassen hatten und stießen dabei zwar nicht auf Modifikationen in den Genen selbst, wohl aber auf
epigenetische Veränderungen, das heißt, auf Veränderungen in den Aktivitäten beziehungsweise im Stoffwechsel der
Gene. Immerhin zeugten 98 Prozent der PTBS-Patienten trauma-spezifische Veränderungen in ihrem Genstoffwechsel.
Die Epigenetik eröffnet neue Chancen gegen psychische Erkrankungen
Es stellte sich heraus, dass sich an ihre DNA (= englisch: DeoxyribonucleicAcid; deutsch: DNS =
Desoxyribonukleinsäure), dem Biomolekül, das die Erbinformationen, das heißt die Gene trägt, Methylgruppen
angelagert hatten. Diese nun waren in der Lage, einzelne Gene an- und abzuschalten und so den Stresshormonhaushalt
spürbar zu beeinflussen. Diese Methylisierung der DNA gehört - neben der RNA-Interferenz und der Modifikation der
Histone - zu den wichtigsten Regulierungsmechanismen in der Epigenetik. Diese Wissenschaft, die die biochemischen
Vorgänge im Körper untersucht, ist eine noch recht junge Wissenschaft, die aber derzeit das Bild von der
Vererbungslehre fundamental verändert.
Die Studie ist besonders für die Weiterentwicklung von so genannten Biomarkern von Bedeutung. Diese biologischen
Informanten zeigen an, wie sich traumatische Ereignisse biologisch auswirken und wie sie die Programmierung von
Protein- und Gen-Aktivitäten verändern. Damit geben die Biomarker auch noch nach Jahren Hinweise, wie sich
biochemische und epigenetische Modifikationen durch eine individuelle Therapie - zumindest teilweise - wieder
rückgängig machen lassen. Die Ergebnisse bedeuten besonders für jene Menschen neue Hoffnung, deren
Erkrankungsrisiko durch Traumatisierungen in der Kinder- und Jugendzeit erheblich vergrößert ist.
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